Gentrifizierung am Stöckach

Einen allgemeinen Artikel zum Thema "Gentrifizierung im 21. Jahrhundert" finden Sie bei der Bundeszentrale für Politische Bildung.

 

Gentrifizierung – ein Thema am Stöckach? - von Brian Krause, Sprecher AG Miete und Wohnen

In Großstädten ist das Schlagwort Gentrifizierung sehr modern geworden. Besonders in sanierten Stadtbezirken wie am Prenzlauer Berg im Osten von Berlin wurden Altmieter verdrängt, nachdem die Immobilien an andere Eigentümer wechselten. Durch Sanierungen stiegen die Mieten und viele Alteingesessene mussten ihren Kiez verlassen. Ich selbst konnte diesen Prozess in München beobachten, wo in der Innenstadt in vielen Straßenzügen Luxussanierungen und Neubauten die bisherige Wohnstruktur und den Charakter des Stadtviertels vollkommen veränderten. Wo früher Bäcker, Metzger und kleine Gemüsehändler ihren Laden hatten, haben sich jetzt Luxusboutiquen und moderne Cafes oder Bars angesiedelt. Mieten und Ladenpachten stiegen immens. Traditionelle Bars mussten schließen, weil der Pachtzins zu hoch wurde. Besonders Mieter und Pächter mit mittlerem bis geringem Einkommen konnten sich die innerstädtische Wohnlage nicht mehr leisten und mussten weiter in die Außenbezirke oder in die weitere Umgebung von München umziehen.

Ist das auch ein Thema bei uns im Stuttgarter Osten, hier am Stöckach? Durch das Sanierungsgebiet werden Häuser saniert, es gibt Neubauprojekte und neue Firmen siedeln sich rund um den Stöckachplatz an. Wohnen ist noch vergleichsweise günstig im Vergleich zu Stuttgart-West. Im Umfeld des Stöckach verändert sich viel: das Mineralbad Berg wird generalsaniert, daneben entstehen neue Stadtvillen am Schwanenplatz. Sowohl der Park als auch die Villa Berg werden instandgesetzt und neuen Nutzungen zugeführt. Am Parkrand sollen auch neue Wohnungen entstehen. Über die Neckarstraße hinweg durch den Schlossgarten wird in fußläufiger Nähe ein komplett neues Viertel geplant: das Rosensteinviertel. Bahnhofs- und Tunnelneubauten verändern Verkehrsströme und das Stuttgarter Stadtbild und verlangen sehr viel von der Wohnbevölkerung und den Gewerbetreibenden ab.

Es gibt nicht einen absolut typischen Verlauf von Gentrifizierung: der Prozess kann langsam und schleichend verlaufen. Sie kann aber auch relativ schnell eintreten und den Charakter eines Viertels schlagartig verändern. Wir wissen nicht, welche neuen Themen und Herausforderungen neben Klimawandel, Verkehrslärm, Feinstaub, demographischem Wandel und Integration auf uns in unserer Nachbarschaft zukommen werden. Häufig kommen zunächst junge Leute als sogenannte Pioniere, die einen neuen Stadtteil entdecken. Noch sind die Mieten günstig. Sie siedeln sich an und wirken damit als sogenannte „Gentrifier“. Danach ziehen mehr und mehr gutsituierte und gutverdienende Bürger nach. Es entsteht ein Verdrängungs- und Aufwertungsprozess. Areale mit Leerstand sind aktuell im Bereich und Umfeld des Stöckach zu verzeichnen. Diese Immobilien befinden sich z.T. in Privatbesitz, teilweise handelt es sich um Firmen oder Liegenschaften der öffentlichen Hand. Welche Mieter sprechen neue Wohnungen an? Wie hoch sind die Mieten im Viertel bei Neuvermietung? Die Einführung der Mietpreisbremse scheint noch keinen durchschlagenden Erfolg im Sinne der Eindämmung von zu starker Mietsteigerung bei Neuvermietungen gebracht zu haben. Immobilien und Wohnungen sind besonders im attraktiven städtischen Raum gefragt und die Immobilienverkäufe erzielen immer neue astronomische Höchstpreise.

In unserer Arbeitsgruppe Miete und Wohnen am Stöckach ist es uns wichtig, Gentrifizierungstendenzen zu erkennen und eine vielfältige Mischung der Bevölkerungsgruppen am Stöckach langfristig zu erhalten: mit Arm und Reich, Hip und Altmodisch, Quirlig oder Verschroben, mit Migrant oder schwäbischem Ureinwohner. Veränderung belebt ein Stadtviertel und ist somit etwas Gutes. Zunehmende Verdrängung von wenig kaufkräftigen Anwohnern muss durch einen wesentlichen Anteil von Wohnungen für Geringverdiener und mittlere Einkommensbezieher verhindert werden. Dafür setzen wir uns – in Zusammenarbeit und im Dialog mit der städtischen Verwaltung sowie mit Anwohnerinnen und Anwohnern und Interessierten – ein.

Brian Krause, Sprecher AG Miete und Wohnen